Ich bin Groupie, kann aber nicht vom BER aus fliegen

Moin! Ich bin Nina, 31 Jahre alt, und ich bin Groupie. Nein, nicht dieses im Casino arbeiten. Da hat man ja mit Geld zu tun, und mein Verhältnis zu Geld ähnelt meinem Verhältnis zu meinem Idealgewicht: hätte ich gerne, aber irgendwie kommt immer was dazwischen. Sei es nun n Jumbodöner und vier, fünf Bier drübergeschüttet oder eben das Groupiesein. Ich bin Groupie. Ganz klassisch im Sinne von einer-Band-hinterherfahren-und-wen-aus-der-Band-flachlegen-wollen.Zwei Probleme: 1. mit 31 ist man als Groupie quasi im Rentenalter. Das ist, wie wenn Claudia Roth sich bei GNTM bewirbt. Passt nicht. Ins Bild. Und in Claudias Fall auch nicht in die Klamotten, aber egal. Ich bin also eigentlich zu alt. 2. Problem: ich stehe auf Frauen. Und die Band, der ich hinterherreise, hängt an der einen Solokünstlerin dran, auf die ich so steil gehe wie Sebastian Edathy auf den neuen Anne-Geddes-Kalender. (Pädo-Witze sind nie out, sie sind das Billy-Regal unter den Stand-Up-Gags). Sie ist aber ne Hete. Die Ausgangslage ist also schwierig, aber man versucht es ja trotzdem. Vielleicht funktioniert es ja irgendwann. Irgendwer glaubt auch bestimmt immer noch dran, dass der Berliner Flughafen irgendwann eröffnet wird ( wer übrigens Stand-Up-Bullshitbingo spielen will, kann hier gerne einsteigen. Edathy und BER ham wer schon, da kommt sicher noch mehr). Mein nonexistentes, aber vielfach herbeigesehntes Verhältnis zu besagter Künstlerin ähnelt dem BER-Baufortschritt übrigens durchaus: teuer, langsamer Fortschritt, immer fehlen irgendwelche Teile und so richtig glaubt keiner dran, dass es mal was wird. Egal. Popkultureller Vergleich (hihi, sie hat "Poppen" gesagt): Quentin Tarantino soll Uma Thurman 20 Jahre lang hinterhergerannt sein, bevor da was ging. Und dabei hat er sich offenbar nicht mal an ihrem ausnehmend bescheuerten Namen n Zungenkrampf geholt. (Das Problem hätte ich übrigens nicht, mein "love interest" heißt ganz normal). 20 Jahre lang also hat der gute Quentin sich nur einen abgew... äh ... schmachtet, und die Uma als seine Muse bezeichnet. Das ist natürlich das Geile als Künstler: Man kann aus dem Schmachten Kunst machen und aus dem Arsch der unerfüllten Liebe Kreativität ziehen und sich selbigen dann mit fetten Filmerfolgen vergolden lassen. Ich bin aber kein Künstler. Ich arbeite für welche. Ja, irgendwo muss man ja anfangen, sich in die Branche der Herzallerliebsten reinzuzecken. Ich war auch mal seriös und hab Jura studiert und sogar Erstes Staatsexamen, aber irgendwiecwar es das dann doch nicht so ganz, und außerdem hat Sylvie Meis, als sie noch van der Vaart hieß, mal gesagt, sie kenne ihren Rafael jetzt 10 Jahre: "... wenn ich da kein Abseits erklären könnte, wär auch sehr peinlich". Sprach die gute Sylvie, gefolgt von dieser leicht creepy Lache, die immer so klingt, als würde man beim schwungvollen Überfahren eines Meerschweinchens etwas zu spät hochschalten. Ich hab mir also gedacht, ich mach es wie Sylvie -  außer dass ich keine hochfrequente Spielerfrau mit eigener Tchibo-Kollektion und RTL-Show werde, was aber nichts macht, da die Frau, die ich will, auch nicht auf hochfrequente Spielerfrauen mit eigenen Tchibo-Kollektionen und RTL-Shows steht. Auf mich allerdings auch nicht, aber daran arbeite ich. Als einen von vielen Schritten hab ich also angefangen, mich in ihrer Branche kundig zu machen. Ich arbeite als Stagehand. Stagehands, das sind die unterbezahlten Deppen, die morgens ab 6 beim Aufbau oder nachts bis 3 beim Abbau von Konzerten helfen. "Helfen" heißt offiziell: der Tourcrew, also den Technikern der verschiedenen Gewerke - Ton, Licht, Video etc - zuarbeiten, LKWs be- und entladen, Bühne bauen. Inoffiziell heißt es,  dass 80 % verkatert oder breit oder im Jogger zur Arbeit kommen, Kippen schnorren und sich mit dem Lieblingskollegen einen "Deine Mudda"-Witze-Battle liefern oder alternativ auf jeden zweiten Satz mit " That's what she said" antworten. Inoffiziell heißt es auch, wenn's blöd läuft: Stühle stellen, Flyer verteilen, ein Festivalgelände von der Größe des Saarlandes mit Bauzäunen umstellen oder selbige im bepissten (und nicht nur bepissten) Zustand da wieder rauspflücken oder den Teilnehmerinnen des Betriebsausfluges eines Gelsenkirchener Nagelstudios erklären, dass sie alle ihre saarlandgroßen Handtaschen nicht mit rein nehmen dürfen. Maximal A4, heißt das ja jetzt immer, und spätestens wenn man hier gefragt wird, was die Handtasche jetzt mit der Autobahn zu tun hat, wünscht man sich weder sie noch ihre Besitzerin lebendig. (Hier könnt ihr ein neues Kreuzchen im Popkulturelle-Referenzen-Bullshitbingo machen. Ach, und eins fürs Saarland). Natürlich sind fast alle Stagehands "eigentlich" selber Musiker oder sonst wie Künstler, so wie alle Kellner eigentlich Schauspieler sind. Natürlich hatten auch alle Pressetypies, die über Konzerte schreiben, früher mal selber ne Band, und natürlich sind alle Tourmanager Arschlöcher, deren Porsche-Cayenne-Auspuff länger ist als ihr Schwanz. Natürlich arbeiten in dieser Branche fast nur Kerle, natürlich sind die Frauen, die dabei sind, alle Kampflesben oder stehen eben kostümebügelnd in der Garderobe oder halbnackt beim Champagnerausschank, natürlich gehört hier sexistische Kackscheiße zum guten Ton. Natürlich ist das alles Quatsch. Aber natürlich kommt das alles vor. Ich hab schon Typen getroffen, die kann man sich nicht ausdenken. Meinen Lieblingstourmanager zum Beispiel, ein Wort, was schon an und für sich ein Paradoxon ist. Gefühlte 1,30 groß, Biertitten, Cowboystiefel, Sammlung an Siegelringen mit dem Wappen der Wichtigtuer von Schmierigstan, hässliche Lesebrille von dm, weil es für mehr nach der Anschaffung des Porsche, bei dem er ohne Kissen unterm platten Arsch nicht mal an die Pedale kommt, nicht mehr gereicht hat. Halbglatze. Dann aber keinen Haarkranz, sondern Minipli bis fast an die Biertitten ran, und offensichtlich nicht nur ne Rot-Grün-Schwäche, sondern auch noch ne Gelblilatürkisbordeauxschwäche. Der Typ sieht aus wie Krusty beim Halloween-Special von Shopping Queen. Und ich tippe mal, dass die Bordeauxschwäche sich nicht nur auf die Farbe bezieht. Er hält sich aber natürlich für den Bodyguard, obwohl er mit Kevin Costner soviel gemein hat wie Horst Seehofer mit Olivia Jones. Glaubt, er ist n ganz scharfer Bluthund, ist aber eher n alternder Dackel mit Bluthochdruck, den zu allem Übel noch jemand in Harald Glööcklers Chihuahua-Kollektion gezwängt hat, die ihm ähnlich gut passt wie Andrea Nahles Größe 38. Hält sich für n ganz tollen Hecht, ist aber maximal n Guppy. Über sowas kann man noch lachen. Wo es dann aber gar nicht mehr witzig ist: Belästigungen von ekelhaften Machoarschlöchern. Das ist leider keine Seltenheit in dieser Branche. Das gilt natürlich auch überall, aber in sehr männerdominierten Branchen ist es eben besonders häufig. Das ist so, da brauchen wir uns nix vormachen. Klar: Das ist ein Klischee. Aber dass in sogenannten Frauenjobs besonders viel gezickt wird, ist auch ein Klischee. Und trotzdem hab ich zahlreiche Freundinnen, die zB im Einzelhandel in reinen Frauenteams arbeiten und sagen, dass der Hühnerhaufen bei GNTM dagegen so entspannt ist wie Holger und Ingo beim Feierabendbierchen. Ich habe mir in dieser Branche schon einiges an sexistischer Kackscheiße angehört. Und der Fakt, dass ich auf Frauen stehe, hat es dabei nicht besser gemacht. Den Spitzenplatz im Widerlichkeitsranking belegt hier der sogenannte Kollege, äh, Kotzlege, der mir zugedröhnt vorschlug, wir könnten doch mal "zusammen auf Klo gehen aufm Job" und ich solle "an seinen harten Schwanz denken". Was soll man da sagen? "Kein Schwanz ist so hart wie der Stuhlgang vin deiner Mudda?" Oder: "Danke, aber wenn ich Brechreiz will, reicht mir ne Folge "Der Bachelor". Was gegen sowas hilft? Mund aufmachen! Solche Geschichten verbreiten! Anderen Frauen erzählen, zur Warnung, aber auch sonst in der Firma und Branche bekannt machen. Anprangern. Damit keiner mit sowas durch kommt. Dazu braucht es keinen Hashtag. Dazu müssen wir Frauen, so simpel das klingt, einfach untereinander solidarisch sein. Dann werden wir die paar sexistischen und homophoben Wichser, die in dieser, aber auch in vielen anderen Branchen noch rum laufen,  auch irgendwann los. Denn eigentlich ist sie toll, diese verrückte Rock'n'Roll-Branche. Und das sag ich sowohl als unterbezahlter Helfer als auch als Groupie. Womit wir wieder beim Eingangsthema wären: Künstler, Musiker, haben schon immer Faszination auf Menschen ausgeübt. Groupies wie Jerry Hall, Pamela des Barres, Anita Pallenberg, Cynthia Plaster Caster sind selbst Kultfiguren geworden. Letztere, weil sie Gipsabdrücke von Rockstarpimmeln anfertigte. Das war damals noch crazy. Heute gibt's das auch beim Tchibo, aber dann hat es Helene Fischer entworfen und es wird von Brigittes und Ingrids aus Bottrop-Kirchhellen gekauft, die es als neuen Thermomix-Aufsatz nutzen. Oder es hängt als Kunst in ner veganen Fairtrade-Sexshop in Friedrichshain.Das muss nicht sein. Aber: Kunst muss sein. Wir brauchen Kunst. Und ich meine keine hochfrequenten, tchibohandtaschendesignenden Tussis  und keine sexistischen homophoben Sprücheklopfer. Ich meine: echte, geile Künstler. Leute, die lieben, was sie tun, die Herzblut und eine Botschaft haben, die über "Kaufen Sie diese Schlagercompilation und bekommen Sie zwei Sport-BHs und eine Zitronenpresse mit Gesicht dazu" hinausgeht. Jeder sollte nämlich tun, was er liebt, und lieben, wen er liebt. Und wenn ihr jemanden heiß findet, weil er Künstler ist, oder warum auch immer, dann sagt das doch. Scheißegal, ob Männlein oder Weiblein. Sagt es ihm oder ihr, macht euch meinetwegen zum Affen, werdet nicht zudringlich, aber sagt und zeigt, was und wen ihr liebt. Arbeitet als Frau in Männer- und als Mann in Frauenberufen, wenn ihr Bock drauf habt. Scheißt auf sexistische Kackscheiße. Liebt Männer oder Frauen oder beides, feiert die Kunst und die Liebe, denn die sind genau das, was wir brauchen. Und Bier. Und damit das hier nicht zu pathetisch endet, will ich mit einem echten Groupiewitz zum Anfangsniveau dieses Textes zurückkehren: Was haben Groupies mit Bassisten gemeinsam? Sind beide gern mit Musikern zusammen. 

Kommentare

  1. Glückwunsch & willkommen in der Bloggerwelt!! Weiterhin viel Spaß beim Schreiben. Kopfkino läuft. Danke dafür und liebe Grüße, Katrin

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