Wer Konzerte durchgehend mit dem Smartphone abfilmt, lässt auch beim Scheißen die Tür auf, damit er vermeintlich nix verpasst, wenn die beste Freundin von ihrer Schwangerschaft erzählt, verkackt damit aber trotzdem allen anderen den Abend

...oder: Warum Handys auf Konzerten scheiße sind.

In Zeiten, in denen sich 14-Jährige dabei filmen, wie sie 'nen Drogerieeinkauf auspacken, zu Starbucks gehen oder auch einfach nur kacken und das dann auf Youtube hunderttausende Aufrufe bekommt, muss man sich ja nicht wundern, dass die auch jedes Konzert komplett abfilmen... blablabla, alles richtig, alles hundertmal gelesen, aber auch alles ausgelutscht. Ich wunder' mich nicht über 14-Jährige. Ich hab' mit 14 innerhalb eines Jahres acht Haarfarben, drei Kleidergrößen und drölfzig präferierte Musikgenres durchlaufen und war (damit und auch sonst) der klassische Arschlochteenager. 14 oder 13 oder 15 zu sein, ist aber auch selber ein Arschloch, es ist das Brandenburg, oder, in jüngerer Zeit, die SPD unter den Lebensabschnitten. 14-Jährige verblüffen mich mithin nicht, kotzen mich aber derweilen an. Das tun sie in oben beschriebener Konzertsituation aber nicht, weil sie 14 sind, sondern weil und wenn sie ALLES mitfilmen. Leider tun das nicht nur 14-Jährige, sonst könnte man ja einfach Konzerte meiden, wo die hingehen, womit man im Zweifelsfalle ohnehin gut beraten ist, ist man in seiner 14jährigen Brandenburgigkeit doch musikalisch meist ähnlich stilsicher wie olfaktorisch und sind die Werke der Künstler, zu deren Konzerten 14-Jährige gehen, und die heute nicht mehr Künstler heißen, sondern Influencer, was eine durchaus berechtigte sprachliche Ähnlichkeit zu Influenza aufweist, folglich häufig eine Art gesungenes Spice-Girls-Deodorant (das Trauma aller 90er-Klassenfahrten).

Diese beschissene Mitfilmerei hat man aber in jeder Altersgruppe und in jeder Location und bei jedem Genre. Und das fuckt mich ab. Weil:

1. Ich bin 1,63. Ich sehe eigentlich eh nur ganz vorne was, was sich aber sofort wieder erledigt hat, wenn mir irgend 'ne Kackbratze ihr beschissenes Smartphone vor die Schnauze hält.

2. Auf meinem Ticket steht "live". Live bedeutet: in echt. In lebendig. Da steht die echte, lebendige Person vor mir, die oder wenigstens deren Musik ich verehre. Das könnte ein magic moment sein, oder deren viele. Ich habe im Zweifelsfall einiges an Geld bezahlt, bin vielleicht auch von weiter angereist, um das zu erleben. Um "meinen" Künstler (in meinem Falle isses 'ne Frau, aber ich benutze den Begriff "Künstler" hier so wie "Sparkassenkunde") eben "in echt" zu sehen, von ganz nah. Zum Tanzen und Schmachten und Mitsingen und mich mitreißen lassen und feiern, was da auf der Bühne passiert. Und wenn ich über drölfzigtausend Smartphones rüber, oder, in meinem Fall, eher drunter durch, schauen muss, dann macht mir das mein Liveerlebnis kaputt. Halb schielend schmachtet es sich schlecht, und auch das Mittanzen wird erschwert, wenn man auf jedem Quadratzentimeter achtmal mit einem beschissenen iPhone kollidiert.

3. Erinnerungen schafft man mit dem Hirn und mit dem Herz, aber nicht mit einem fucking Smartphone. Die grandiose Ina Müller sagt mitunter auf ihren Konzerten zu renitenten Handyfilmern, irgendwann werde sich das Hirn zurückbilden, keine Erinnerungen, keine Bilder, keine Momente mehr speichern, da die Evolution ja sehe, dass man dafür jetzt Handys habe. "Wenn du dann morgen von deinem Kollegen gefragt wirst: 'Warst du auch bei Ina Müller?', dann musst du sagen: 'Weiß ich nicht, aber ich schau' mal in mein Handy'", sagte eben jene wunderbare Ina mal zu einem der Telefonterroristen, den sie im Publikum persönlich angesprochen hatte. Sie stand direkt vor ihm, live, sah ihn direkt an. In solchen Momenten sollte einem das Herz überlaufen, nicht die Speicherkarte. Und es war verdammt nochmal beschissen traurig und gleichzeitig wahnsinnig rührend, wie resigniert Ina war, als sie das mit den Erinnerungen sagte. (Ich zitiere Ina übrigens bei jeder Gelegenheit und zu jedem Anlass, sie ist für mich Helmut Schmidt, Hellmuth Karasek, Alice Schwarzer, Woody Allen, Loriot und Rudi Völler in einer Person). Und ebenso rührend war es, wie sie am Schluss "auch für die Kollegen, die hier vielleicht nächste Woche stehen", darum bat, dann doch wenigstens den Blitz auszulassen. Wenn man sich schon gegen die Filmerei an sich nicht wehren könne. Diese Resignation machte mich traurig und wütend, denn Ina hatte schon vorher mehrere Leute mehrfach gebeten, die Kameras wegzupacken. "Ich schwitz' dir aufs Handy...", hatte sie, sich sichtlich unwohlfühlend, zu einer Ische gesagt, was aber leider so erfolgreich war, "wie wenn man 'nem Ochs' ins Horn petzt", wie es meine Oma formuliert hätte, also ungefähr so, wie wenn man versucht, Martin Schulz Charisma anzutrainieren. Ina hat welches. Sie hat 'n overload davon. Den steckt sie in das, was sie an so einem Abend auf der Bühne tut. Und Liebe und Leidenschaft und Herzblut und Seele und Schweiß und Anstrengung und harte Arbeit. Und das verdient Anerkennung.

4. Womit wir beim nächsten Punkt sind. Jeder echte Livekünstler steckt nämlich Energie und Arbeit und Herzblut und Leidenschaft und soviel mehr in seine Liveshow. Wahre Künstler lieben das, was sie tun, wollen damit Leute erreichen, berühren, haben idealerweise sogar etwas Kluges, Wichtiges, Witziges, zum Nachdenken bringendes, Berührendes zu sagen. Sie haben daran gearbeitet, das auf der Bühne möglichst gut, überzeugend, mitreißend rüberzubringen. Das Ergebnis präsentieren sie dann auf eben dieser. Um Leute zu erreichen. Erreicht zu werden, verlangt aber Aufmerksamkeit. Nein, du darfst dir nicht alles rausnehmen, weil du für die Karte bezahlt hast, dich mit deiner Plautze zurücklehnen und sagen: "Spiel, du Sau". So funktioniert das nicht. Das ist nicht der Deal. Wenn du Freunde zuhause besuchst und die dir von ihrer Scheidung, ihrer Beförderung oder ihrer Schwangerschaft erzählen, eben von dem, was sie gerade sehr beschäftigt, dann hörst du doch auch zu und gehst nicht währenddessen kacken, lässt die Tür offenstehen, damit du trotzdem mithören kannst und zeigst damit nicht nur selbst mangelndes Interesse und mangelnden Respekt, sondern verkackst das Treffen auch allen anderen, die vielleicht gerne gehört hätten, ob das Kind jetzt Quinoa-Ciabatta-Loredana oder Rüdiger Ludger Gonzalez heißen soll (ich frag' mich zwar, wer sowas wissen will, aber das frag' ich mich auch, wenn ich Telefonate in der Bahn mithöre). Ich will wissen, wie das künstlerische Kind heißt, ich will wissen, ob es schon laufen, alleine kacken und vielleicht sogar das Smartphone seiner idiotischen Zuschauer kaputtrocken kann. Weil ich es und seine Eltern respektiere und an ihnen interessiert bin. An ihnen als realer Person oder als realem (künstlerischem) Produkt. Es geht mir vierspurig am Arsch vorbei, welcher Instragram-Filter welche Stimmung erzeugt, wenn ich wie nah ranzoome. Ich bin ja nah dran. Und ich will sehen und feiern und fühlen, wie die tolle Frau auf der Bühne sich gerade zu einem Wahnsinnssolo ihres Gitarristen mit diesem gegenseitig abfeiert, wie sie tanzt, und wie sie gleich darauf granatenmäßig den letzten Refrain röhrt, wie sich ihre Frisur dabei auflöst und es ihr scheißegal und sie trotzdem wunderschön, weil echt, ist und wie sie am Ende glühend und strahlend und völlig erschöpft und glücklich ihre Band umarmt. Ich will das in echt sehen und Teil davon sein und nicht noch währenddessen 823 verwackelte Fotos mit dem Hashtag #funnightoutwithmygirls hochladen. Meine Girls sind mir in dem Moment nämlich scheißegal, denn wenn sie eh dabei sind, haben sie's ja wohl selber gesehen, es sei denn, sie sind grenzdebil (oder haben die ganze Zeit gefilmt oder beides), und mit solchen Leuten geh' ich nicht auf Konzerte, und wenn sie nicht dabei sind, dann kann ich ihnen ja davon erzählen.

5. Bei den Stichworten Respekt und Achtung kommt noch ein ganz schnödes juristisches Argument dazu: Urheberrechte, Recht am eigenen Bild, Allgemeines Persönlichkeitsrecht. Wer sich auf die Bühne stellt, ist damit kein Freiwild (und wenn Freiwild auf der Bühne stehen, sollte man da eh nicht hingehen, allenfalls zum Eier schmeißen, am besten von Migrantenhühnern, aber dafür sind die Eier zu schade), gibt nicht seine gesamten Rechte preis und auf. Wer alles filmt, ob er es nun irgendwo hochlädt oder nicht, verletzt das Recht des Künstlers, darüber zu entscheiden, ob er gerade fotografiert und gefilmt werden möchte, oder nicht. Dieses Recht aber ist Bestandteil des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts (APR). Dieses Recht hat Verfassungsrang. Und es steht jedem zu. Und nein, sich auf die Bühne zu stellen, ist keine konkludente Einwilligung ins Fotografiertwerden. Es ist unfassbar anmaßend, das zu unterstellen oder gar zu behaupten, es könne doch jeder Konzertbesucher selber entscheiden, ob er filmen wolle. Nein, kannst du nicht. Kannst du verfuckingdammtnochmal nicht. Bzw, kannst du faktisch schon, du kannst ja auch zu Douglas gehen und dir ein paar Flakons einstecken, weil du findest, dass du sie haben willst, und dass es doch wohl deine Entscheidung ist, ob du sie auch bezahlst, darfst du aber nicht. (Ja, diese Metapher ist schief, denn jetzt werden die ganzen Idioten wieder sagen, dass sie ja Eintritt bezahlt haben. Ja, habt ihr, deshalb dürft ihr die Show sehen. Die Aufzeichnung dieser kostet neu. Nennt sich Live-DVD). Die Diskussion darüber, wer hier was zu entscheiden hat, gab es kürzlich auf der Facebookseite von Bela B, der einen Post von Jack White teilte und diesen nicht nur als Musiker, sondern auch und vor allem als selber Konzertgänger feierte. Jack White hat nämlich eine Lösung für das Gefilme, bzw eine Möglichkeit, ein Produkt, um es zu unterbinden. Und nein, ich kriege dafür kein Geld, aber ich find's toll. Ich finde es traurig, dass sowas nötig ist, aber das Produkt ist trotzdem toll.

Yondr heißt es, und ist eine Handyhülle, die beim Betreten der phone free zone, also des Zuschauerbereichs, verriegelt wird. Entriegeln lässt sie sich nur an unlocking bases, die sich eben ausschließlich außerhalb dieses Bereichs befinden. Damit funktioniert die Yondr Pouch ähnlich wie eine Diebstahlssicherung an Klamotten, die man ja auch nur mit dem entsprechenden Nüpsientfernungsdingens an der Kasse abmachen kann. Man muss sein Handy nicht abgeben, sondern hat es bei sich, und hat im Notfall jederzeit die Möglichkeit, es außerhalb der phone free zone, also zB im Foyer, an der Garderobe etc eines Venues zu entriegeln, wenn man also dringend telefonieren muss oder das plötzliche Bedürfnis hat, das inhaltlich völlig schwachsinne "Für Garderobe keine Haftung"-Schild abzulichten, damit man wenigstens irgendwas unter dem Hashtag #funnightoutwithmygirls posten kann. Und man ist eben dran gehindert, sich danebenzubenehmen. Und gezwungen, sich wirklich auf das Geschehen auf der Bühne zu konzentrieren. Und das kann ein verdammtes Geschenk sein. Deshalb bin ich dafür, dass es dieses Amiprodukt auch hier gibt, für die Inas und Belas und alle geilen Künstler, die Respekt und Aufmerksamkeit für ihre Arbeit verdient haben. Für die Konzertbesucher, die sich ihr Liveerlebnis nicht von irgendwelchen Spacken kaputtmachen lassen wollen. Für unsere mit Herz und Hirn ganz altmodisch analog geschaffenen Erinnerungen. Als Arschlochsicherung. Wer sich dafür interessiert, kann unter. https://www.overyondr.com/ mehr erfahren. Und wer sich für geile Künstler und geile Liveerlebnisse interessiert, der sollte einfach hingehen zu den Konzerten. Aber das verkackte Handy in der Tasche lassen. Man kann ja am nächsten Tag trotzdem posten, dass man da war. Von mir aus sogar unter dem Hashtag #funnightoutwithmygirls.

Kommentare

  1. Du weißt schon, dass ich (leider) in Brandenburg wohne?

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    1. Aber du bist nicht 14 (wollte hier ein Herzemoji dahinter machen, aber dann sieht es aus wie die Gleichung 14 ist kleiner als drei, was vermutlich nicht mal ne Gleichung ist, aber vor allem falsch, und das kann ich nicht ertragen).

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    2. Ich bin nicht 14 ❤
      Stimmt - Gott sei Dank
      Aber Brandenburg ist trotzdem traurig genug

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  2. Das Schlimme ist, dass die technikverseuchten Leute da draußen mit ihrer "mein Haus, mein Auto, mein Pferd"-Mentalität tatsächlich nicht einmal mehr darüber nachdenken (Was ist Denken? Essbar?), dass sie ihren ach so geliebten Stars mit der Filmerei in den 'Bopos' treten, weil jeder egoistisch (& respektlos) genug ist, den Beweis seiner Band-Liebe als Statussymbol mit sich herumtragen und zum Lebensbeweis zur Schau stellen zu müssen. Nervig.

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